Den ersten frühzeitigen Anlaß, in den drei heilige Frauen Walburga, Verena und Gertrud, drei Wesen aus der deutschen Götterlehre zu erblicken, hat der Verfasser in den Perioden seines akademischen Jünglingsalters und während der ersten Jahre seines Berufslebens empfangen, als er noch auf Jagdgängen, Ferienreisen und Abteibesuchen der Erkundung örtlicher Altertümer nachzog und in andauerndem Verkehre mit der Natur und der Bevölkerung den damals herrschend gewesenen Glauben teilte, das Volksgedächtnis sei ein Archiv, welches dem Forscher den Mangel an Urkunden ergänzen helfe.
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Und so erklärt sich der Ursprung unseres Buches als eine früh erworbene, in langer Zeitdauer gereifte und hier erst spät zur Mitteilung gebrachte Lebensanschauung. Als uns vor bald vierzig Jahren in den heimatlichen Tälern der Altmühl und des Mains der hier seßhafte Kultus der hl. Walburgis und Gertrud begegnete und nicht lange danach in den schweizerischen der Aare und des Oberrheins uns derjenige der hl. Verena näher bekannt wurde, zeigten schon die abgegrenzten Landschaftsmarken, innerhalb deren der Kult jeder dieser drei Heiligen seit ältester Zeit bis auf die Gegenwart herrschend geblieben ist, daß diese Drei hier nicht etwa die Patrone oder Lieblingsheiligen ihres Bisthums, sondern die Schutzheiligen ihres politischen Gaues in einer Periode gewesen waren, als dessen politische Grenzen noch keineswegs mit denen des Kirchensprengels zusammenfielen. Waren die Heiligen aber zeitgenössisch gewesen mit der ältesten Gaueintheilung dieser Landstriche selbst, so war hier ihr Bestand überhaupt ein älterer, als der durch die Kirche veranlaßte je hätte sein können.
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Und also führte uns die Gauheilige in rückschreitender Metamorphose auf die Gaugöttin. Gegen diese Folgerung, die selbst von der kirchlich approbierten Gestalt der Legende mit historischen Angaben unterstützt wird, läßt sich mit ferner versuchten Einwänden nicht weiter aufkommen. Auch führt ja die Gaugöttin ihre bei uns verblaßte Herrschaft über Christenmenschen anderwärts immer noch ungeschwächt fort, so zum Beispiel in der Normandie, wo nach dem Zeugnisse von Amelie Bosquet die Aufsicht über das Land den Feen gehört, jede einen einzelnen Kanton, hier jeden einzelnen Einwohner beaufsichtigt und dessen Los bei der allabendlichen Versammlung in dem gemeinsamen Schicksalsbuch je mit einem weißen oder schwarzen Punkte bezeichnet.
Jede Gottheit war ein vom Heidenglauben verwirklicht gedachtes Idealbild menschlicher Tätigkeit gewesen. Wie der Mensch, so sein Gott. Die dem Germanen eigentümliche Auffassung des Eherechtes, welche ihn vor allen Kulturvölkern des Altertums auszeichnet, der von ihm dem Weibe (1) beigelegte ahnungsreiche, auf das Heilige gerichtete Sinn (Tacitus Germania) hatte bei ihm solcherlei weibliche Gottheiten bedingt, welche Wächterinnen der Geschlechterliebe, der häuslichen Ordnung, des Fleisses und Friedens waren. Eine nächste Folge hiervon war es, daß die Frau in ihrem Hause das Amt der Herrin (dies besagt das Wort fröwa, frauja), in ihrem Stamme dasjenige der Itis oder weisen Frau bekleiden und als solche die Geschäfte der Tempeljungfrau, Priesterin, Heilrätin oder Ärztin verwalten konnte. Auf diesem Bildungswege einer langen Selbsterziehung wurde die Nation erst politisch gehemmt durch furchtbare Eroberungskriege, die sie erlitt und vergalt, dann geistig überrascht durch das römische Kirchentum. Durch den ersten Vorgang wurden die Germanengöttinnen kriegerisch umgewandelt, militarisiert, durch den zweiten aber vollends satanisiert, zwei Umgestaltungen des Glaubens und Mythos, von denen unser Buch in allen Abschnitten Zeugnisse bietet.
Und nicht bloß die Richtschnur des öffentlichen Glaubens, sondern ebenso die des Privatlebens wurde dabei mit in die tiefste Erniedrigung herabgezogen. Zwar blieben echtmenschliche Tugenden der Heidin ein allerdings nötigender Grund, sie später einmal zu Christentugenden zu subtilisieren und eine Walburga, eine Verena oder Gertrud zu Kirchenheiligen zu erheben; allein diese Vereinbarung war und blieb eine erzwungene, innerlich unwahre, und verfälschte den sittlichen Kern des Mythos bis zu dem Grade, daß es den irrigen Anschein gewann, als ob hier die Legende aus dem Christenkultus entsprungen wäre, anstatt daß umgekehrt dieser bloß entlehnend dem Mythos nachfolgte und ihn legendarisch einkleidete. Ihm selbst aber durfte ein ehefeindlicher Klerus, der dem Zölibat den übertriebenen Wert einer vollkommenen Tugend zuschrieb und nur ein einziges Weib als solches anerkannte, die (statt Freyja) zur Himmelsherrin gemachte Maria, auf das ganze übrige Geschlecht aber die Ursache des Sündenfalles zu wälzen fortfuhr, einem solchen, die Frauenwürde verkündenden Mythos durfte der Mönch kein Recht belassen, sondern mußte ihn so weit und so unablässig herabwürdigen, daß die Folgen davon bis heute den Aberglauben aufzureizen vermögen.
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E. L. Rochholz (1809-1892), Freidenker, der
in die Schweiz imigrieren mußte; zu Lebzeiten
in einem Atemzug mit den Grimms genannt,
wurde er im Nachhinein unbekannt gemacht.
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Wenn daher zwar auf einer Seite die germanische Jungfrau, welche schmerzenstillendes Öl unter Segenssprüchen bereitete, als ölschwitzende Heilige kanonisiert worden ist, so ist sie auf der anderen Seite zugleich zur Hexenmutter satanisiert: Zaubertränke brauend, Seuchen und Mißwachs herabbeschwörend, Besen salbend, das aller Zeugung feindselige Kebsweib (Hure) des Teufels in der Walburgisnacht. Dorten war sie die ehestiftende Liebesgöttin gewesen, hier eine Frau Mutter des Frauenhauses. Dorten trank der Mensch auf ihren Namen die Minne, sie selbst reichte dem in den Himmel, namentlich Valhalla eingehenden Helden den Unsterblichkeitstrank; hier wird sie zwar auch eine Himmlische, aber nur weil sie vorher als "Wirthskellnerin" tugendhaft geblieben war. So ursprünglich schon steckt in dem Legenden erzählenden Mönch ein Blumauer, der die Aeneide travestiert. Ihm haust da ein spukender Waldteufel, wo in der fränkischen Waldeinsamkeit des Hahnenkamms und Spessarts die Haingöttin an ihren Maibronnen gewaltet hatte; die Frühlingsgöttin Walburga wird ihm zum Blocksbergsgespenste, die Seelenherrin Gertrud zur Leichenfrau, und zur landverwüstenden Riesin wird die im Firnengolde des Gletschers thronende Verena auf des gefürchteten Gipfels schneebehangener Scheitel, den ahnende Völker mit Geisterreigen kränzten.
Wie sonderbar doch dieser Lohn ist, der dem deutschen Weibe ertheilt wurde. Für treues Ausharren in den Prüfungen des Lebens, für opferbereites, demütiges Dulden zum Wohle der Mitmenschen war ihm einst der Himmel zugesagt gewesen, es hatte ihn durch eigene Seelengröße erobert und in germanischer Zeit sich sogar den Preis der Vergötterung erworben. Dieser Himmelsgenuß hieß der Kirchenlegende ein unverdienter, das heroische Streben des Weibes, sich zur Würde der Gottheit emporzuheben, ein frevelhaftes. Es wurde daher noch einmal in die Leidensschule der gemeinen Leiblichkeit zurückversetzt, um nun erst durch ein Mirakel erlöst zu werden. Denn von nun an sollte es nicht mehr auf das persönliche Verdienst, sondern auf (biblische) Gnade angewiesen bleiben. Diesen zweimaligen Bildungsweg, den das deutsche Weib in der Vorzeit einzuschlagen hatte, haben wir als "Sittenbilder aus dem germanischen Frauenleben" bezeichnet und nach dem doppelten Material der Mythe und der Legende von drei heiligen Frauen zur Darstellung gebracht. Dies ist der wissenschaftliche und patriotische Zweck unserer Schrift, die sich hiermit dem Anteil vorurteilsfreier Landsleute empfiehlt.
E. L. Rochholz, Aarau am 1. Mai, Walburgistag 1870
1) Der Begriff „Weib“ ist in seinem germanischen Ursprung nicht despektierlich, leitet er sich doch sowohl vom Weben als auch von der Eibe ab. Wie die Nornen das Schicksalsgespinst der Welt, so webt die Frau in sich das Kind und im Außen den Ihren das Kleid.
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